Batterie Nordmark:
Batterie Chef: Oblt. MA Wegener
Ausbau und Ausrüstung:
Am 09.04.1942 wurde die Batterie Nordmark angeschoßen. Nachdem der Funktionsbeschuß durchgeführt war, wurde die Batterie gefechtsklar gemeldet.
Geräte der Batterie bei Kriegsende:
Schäden und Verluste:
Bei einem Angriff am 17.8.1944 wurde das 1. Geschütz durch Splitter im Rohrmantel und in der Zünderstellmaschine beschädigt. An sämtlichen Baracken und Unterkünften enstand leichter Sach- und Glasschaden. Die Werkstatt ist völlig ausgebrannt. 3 Soldaten wurden leicht verwundet. Bei einem weiteren Luftangriff am 27.8.1944 entstanden in der Batterie leichte Barackenschäden.
Die Marinehelfer anlässlich der Vereidigung von Rekruten im Januar 1944. Im Hintergrund eines der vier Geschütze.
Der Kommandeur der Marineflakabteilung Korv.kptn. Mantell schreitet die Front der Marinehelfer ab. Dem Kleinsten (Buchholz) musste die Uniform maßgeschneidert werden und einen passenden Stahlhelm gab es auch erst nach längeren Bemühen.
Erinnerungen an meine Zeit als Marine(ober-)helfer 1944/45
von Dr. Klaus G. Röhl 24.12.2002
Inhalt
1. Vorbemerkung
2. Die Struktur der Batterie
3. Die Geschütze
4. Das Hazemeyer-Gerät
5. Der Mecke-Tisch
6. Der Sperrfeuer-Tisch
7. Das Funkmess-Gerät
8. Die Flakabwehr
9. Die Marinehelfer
10. Die Ausstattung
11. Die Verpflegung
12. Das Leben in der Batterie
13. Besondere Vorfälle
1. Vorbemerkung
Mit den folgenden Ausführungen möchte ich einen Ausschnitt aus meinen Erlebnissen und Erfahrungen als Marinehelfer in den Jahren 1944/45 wiedergeben. Der Leser möge bedenken, dass wir damals nicht über alle Zusammenhänge informiert worden sind und dass Manches auch das Fassungsvermögen von damals Fünfzehnjährigen überforderte und nach rd. 60 Jahren dem Gedächtnis eines inzwischen 74-jährigen entfallen sein mag. Mit der folgenden Darstellung ist auch keine romanhafte Erzählung, sondern eine nüchterne Beschreibung der militärischen Einrichtungen und Lebensumstände in den Jahren 1944/45 vorgesehen. Die von mir für erwähnenswert gehaltenen Fakten aus einem natürlich viel umfangreicheren Erleben werden daher eher trocken als unterhaltsam wirken.
Ich gehöre dem Jahrgang 1928 an und wurde mit einem „Heranziehungsbescheid“ am 06. 01. 1944 mit meiner gesamten Klasse von etwa 20 Schülern aus der Oberschule für Jungen am Königsweg in Kiel als Marinehelfer in der Batterie „Nordmark“, der 4. Batterie der Marine-flakabteilung 281 in Kiel eingesetzt, die der 1. Marineflakbrigade unterstand. Kommandeur der Abteilung war Korvettenkapitän Mantell, Batteriechef Oblt. MA d. Res. Wegener. Unsere Feldpostnummer lautete M 23585 D, Mar.-Postamt Hamburg
Ich gehörte dieser Batterie vom 06.01.1945 bis zum 10.03.1945 an und war nach meiner Erinnerung der Jüngste in dieser Einheit (am 24. Dez. 1943 gerade erst 15 Jahre alt geworden) und zugleich der Zweit- oder Drittkleinste.
Die Heranziehung erfolgte aufgrund einer Notdienstverordnung vom 15.10.1938, die erst-malig im Jahre 1943 zur Anwendung kam. Vor uns waren schon die Jahrgänge 1926/27 einberufen worden. Nicht jede Stadt hatte einen Flakschutz und wenn es ihn gab, wurden die meisten deutschen Städte von der Luftwaffe und damit von Luftwaffenhelfern gegen Luft-angriffe verteidigt. Eine Reihe von Küstenstädten bzw. Marinestandorten erhielt jedoch Flakschutz durch die Marineartillerie.
Der Einsatz der Marinehelfer sollte dazu dienen, Soldaten aus der Heimatfront herauszulösen, um sie an anderen Frontabschnitten einsetzen zu können. Wir waren von der damit verbundenen Trennung vom Elternhaus und der militärischen Disziplin zwar nicht gerade begeistert, sahen das ganze aber vom Standpunkt der erstmaligen Berührung mit dem Militär und seiner Technik auch als ein interessantes Abenteuer an. Da wir bereits zahlreiche Bombenangriffe auf unsere Heimatstadt als Zivilisten in Luftschutzkellern miterlebt hatten, wobei in aller Regel auch unsere Wohnungen beschädigt worden waren, fanden wir nichts dabei, es den Bombern endlich einmal heimzahlen zu können. Wir hielten die Flugzeug-besatzungen aber für Soldaten, die auch nur ihre Pflicht erfüllten und nicht für Verbrecher, wie es uns die Propaganda einzureden versuchte.
Heute bin ich allerdings der Meinung, dass nur die gegen militärische Ziele geflogenen Angriffe begründete Kriegshandlungen waren. Aber ganz bewusst gegen die Zivilbevölke-rung gerichtete Flächenbombardements stellen nach meiner Ansicht Kriegsverbrechen dar, die auch nicht damit zu rechtfertigen sind, dass die Deutschen mit eben diesen Verbrechen zuerst begonnen hatten. Für diese Verbrechen waren dann aber jeweils die militärischen und politischen Führungen beider Seiten und nicht die dafür eingesetzten Soldaten verantwortlich, die sich nur bemühten, die von ihnen verstandene Pflicht zu tun.
2. Die Struktur der Batterie
Unsere Batterie bestand Anfang 1944 aus:
- 4 Schnellladekanonen der 12,8 cm Flak 40 M, dem - wie es ausdrücklich hieß -„verbesserten Luftwaffengeschütz“, mit 4 x 400 Schuss Bereitschaftsmunition,
- einem Leitstand,
a. auf dessen Dach, einer von einer Reling umgebenen Plattform,
befand sich ein
Hazemeyer-Kommandogerät, das allerdings im Laufe des Jahres 1944 gegen ein
Gerät „ L 40“ (?) ausgetauscht wurde.
b. ferner zwei „Bibifesche“ (= Binokulares Beobachtungsfernrohr mit Schrägeinblick)
und eine handbetriebene Alarmsirene, die bei Tiefflieger-Anflügen betätigt wurde.
c. Innerhalb des Leitstandes, einer kleinen Holzbaracke, standen in dem größeren Raum der sog. „Mecketisch“ und der Sperrfeuertisch mit den zugehörigen Kopfhörer-Telefonen und waren in einem kleineren Raum der Klappenschrank der internen und externen Telefonanlage, der Luftlage- und der Befehlslautsprecher sowie der Batterie-interne, kurbelbetriebene Alarmgeber mit Alarmglocken in allen Baracken installiert.
- einem Funkmeßortungsgerät (FuMO genannt, im Folgenden jedoch als Radar bezeich-net) vom Typ „Würzburg“.
- einem Dieselaggregat zur Stromerzeugung für die Geschütze in deren Nähe in einem Erdbunker und zwei weiteren Benzinaggregaten für das Kommando- und das Radargerät zusammen mit einem 200-Liter-Faß Benzin in einer Holzhütte in der Nähe des Leitstandes.
- Ferner gehörten zur Batterie ein Maschinengewehr gegen Angriffe von Tieffliegern,
- sowie die Munitionsbunker mit 4.000 Schuss Munition, die in etwa 150 – 200 Meter Abstand im Halbkreis um die Geschütze in einem natürlichen Hang als Erdbunker mit Gras- und Gebüschbepflanzung eingebettet waren.
3. Die Geschütze
waren in einer feuchten Wiese aufgestellt. Sie standen dort ohne Panzerkuppeln sozusagen „unter freiem Himmel“ auf Pivotsockeln, die in den Betonboden der ringförmig aufgewor-fenen Bettungen aus Sand und Grassoden eingelassen waren. Innerhalb dieser Bettungen lagen um jedes Geschütz herum 400 Schuss Bereitschaftsmunition.
Die Geschütze konnten mit einer Rohrerhöhung bis 88°, also fasst senkrecht feuern. Der Salventakt lag theoretisch bei 3,85 Sekunden, war aber praktisch auf 5 Sekunden am Tage und 6 Sekunden in der Nacht festgelegt. Die Geschütze hielten sich aber nur bei den ersten Salven nach der Feuerfreigabe durch die vom Leitstand mit der Salvenglocke signalisierten Abfeuerzeiten, danach wurde das Feuer aus technischen Gründen stets unregelmäßiger, ja es kam sogar vor, dass alle Geschütze gleichzeitig ausfielen, z. B. mit der Durchsage: „Versager am ersten – Kontrolllampe brennt – Geschütz vorsichtig entladen“.
Die Flakpatrone bestand aus einer Hülse mit fest aufgesetzter Granate, deren Spitze ein Zeitzünder bildete. Die Patrone war 1,39 m lang und ihre Granate wog allein 25,9 kg. Beim Laden wurde die Patrone mit der Granate in Rohrrichtung in die Zünderstell-Schale an der linken Seite des Geschützes eingelegt. Aus der Zünderstellmaschine kam dann der Zünder-stellkopf heraus, der den Zeitzünder im Kopf der Granate auf eine Zünderstellzeit von bis zu 28 Sekunden einstellte. Die Abstände der Einstellung beliefen sich auf Zehntel-Sekunden. Die Zünderstellschale kippte dann nach rechts zur Ladeschale hinüber, die ihr dazu entgegenkam, dann wieder zurückklappte und das Geschoß vor den geöffneten Verschluss des Geschützes führte. Hier wurde das Geschoß auf Gummirollen in das Rohr des Geschützes eingeführt, worauf der Verschluss hinter das Bodenstück rückte und der Abschuss automatisch elektrisch erfolgte. Der Geschützführer, in der Regel ein Artilleriemaat, konnte beim Versagen einen Notabfeuerungsknopf betätigen, da die Zünderstellzeit sonst im Rohr ablief.
Das Rohr war mit einer Rücklaufbremse und einem Rohrvorholer versehen, die das Rohr in der kurzen Zeitspanne bis zum nächsten Schuss wieder in die zum Abfeuern erforderliche Stellung brachten.
Die Vo, d. h. die Geschwindigkeit mit der das Geschoss das Rohr verließ, war relativ hoch, so dass in den erwähnten 28 Sekunden das Geschoss bis auf 12.000 Meter steigen sollte. Die Wahrscheinlichkeit eines Treffers war aber bei dieser Höhe und der langen Flugzeit nur gering. Es wurde behauptet, dass die am Ende der Zünderstellzeit explodierende Granate generell einen kugelförmigen Sprengkreis von 160 Metern Durchmesser erzeugte, der für jedes Flugzeug „tödlich“ sein sollte. Ferner wurde uns mitgeteilt, dass die Luftwaffe pro Abschuss durchschnittlich 4.000 Schuss schwere Munition benötigte, die Marineartillerie aber nur 3.000. Die Munition wurde zwar als „rauch- und mündungsfeuerarm“ bezeichnet, erzeugt aber dennoch bei Nacht einen blendenden Blitz und am Tage eine eindrucksvolle Rauchwolke, die gelegentlich sogar einen deutlichen Rauchring formte.
Da die hohe Mündungsgeschwindigkeit das Rohr stark belastete, wurde nach einer bestimmten Zahl von Schüssen, an die ich mich nicht mehr erinnere, das Rohrfutter und in noch größeren Abständen das gesamte Rohr ausgewechselt. Die schweren Transportfahrzeuge des Marine-Artillerie-Zeugamtes versackten dabei oft in der nassen Wiese, in der die Geschütze standen.
Der erste Probeschuss nach dem Wechsel wurde erst zu Beginn eines größeren Angriffs über die Ostsee abgefeuert, wobei die Geschützbedienung die Bettung verließ und der Schuss vom Geschützführer mit einer Reißleine gezündet wurde.
Wenn ein Geschütz bei einem Bombenangriff auf Kiel in relativ kurzer Zeit bis zu 400 Schuss abfeuerte, konnte man das Rohr aufgrund der hohen Vo in der Nacht rot glühen sehen. Es wurde dann in primitiver Weise von außen mit Wasser gekühlt.
Die zum Flakschießen erforderlichen Werte: Seite, Höhe und Zünderstellzeit wurden von dem Kommandogerät im Leitstand ermittelt und über Kabel zu den Geschützen übertragen. Hier erfolgte das Richten der Geschütze über ein sog. „Folgezeiger-System“. D. h. die Sollwerte für Seite, Höhe und Zünderstellzeit wurden in drei entsprechenden Instrumenten mit Zeigern vorgegeben. Ein weiterer Zeiger war mit der jeweiligen Stellung des Geschützes gekoppelt und beide Zeiger mussten nun stets in Deckung gehalten werden.
Die Aufgabe der Marinehelfer bestand an den Geschützen darin, diese drei Folgezeiger-Systeme zu bedienen, also das Geschütz als Richtkanoniere zu richten. Ein weiterer Helfer fungierte als BÜ (Befehlsübermittler) und war telefonisch mit dem Flakleiter der Batterie und anderen Stellen über eine Ringleitung verbunden.
An „echten“ Soldaten dienten an den Geschützen der Geschützführer, ein Ladekanonier und ein „Hülsenfänger“, der die nach dem Schuss aus dem Verschluss ausgestoßene ausgebrannte, noch heiße und rauchende Hülse aufzufangen und über die Bettung nach draußen zu werfen hatte. Soweit ich mich erinnere, gab es an jedem Geschütz nur noch wenige weiteren aktive Soldaten. Die Munition wurde nämlich von russischen Kriegsgefangenen (unter Verstoß gegen die Haager Landkriegsordnung?) aus den Bunkern der Bereitschaftsmunition innerhalb der Bettung herausgehoben und zur Zünderstellschale getragen. Insgesamt wurde jedes Geschütz von rd. 15 bis 17 Mann bedient.
Im Laufe des Jahres 1944 konnten die Gefangenen sich entschließen, die deutschen Truppen als „Hilfswillige“, d. h. Angehörige der Wlassow-Armee zu unterstützen. Nicht alle stimmten dem zu, wurden dann in Lager für Kriegsgefangene abtransportiert und durch Hilfswillige ersetzt.
Antreten zum Morgenappell in der Batterie Nordmark, Frühjahr 1944. Im Hintergrund ist eines der 12,8 cm Geschütze zu sehen.
4. Das Hazemeyer-Kommandogerät
stellte einen elektromechanischen Computer zur Ermittlung der Schussdaten auf schnell fliegende Ziele dar. Er war ursprünglich auf einem eigenen Anhänger fahrbar ausgerüstet, stand bei uns aber auf dem Dach des Leitstandes ohne Kuppel fest montiert. Der Leitstand bestand aus einer Baracke aus Brettern in einer Kleingartenparzelle, die zu einem Garten-gelände ohne befestigte Wege gehörte. Sie wurde an den Seiten nachträglich durch gemauerte Pfeiler gestützt, um Erschütterungen – vor allem durch das Schießen der eignen Batterie – abzufangen. Im Laufe des Jahres 1944 wurde der Leitstand mit einem Tarnnetz abgedeckt. Hinter dem Leitstand befand sich ein offener Splittergraben, genannt „das Groschengrab“ in das sich die Leitstandbesatzung aber nur ein einziges Mal hineinbegab, als ein Bombenteppich über die Batterie hinweggegangen war, wobei einige leichtere Verwundungen vorkamen, unsere Telefonverbindungen ausfielen und unsere Marinehelfer-Baracke durch den Luftdruck einer Luftmine in sich zusammenfiel.
Das Hazemeyer-Kommandogerät soll sehr teuer gewesen sein und wurde daher nur in den schweren 12,8 cm-Batterien eingesetzt. Es soll sich um eine holländische Erfindung gehandelt haben, die von Siemens in Lizenz nachgebaut wurde.
Auf dem Gerät war ein Raumbild-Entfernungsmessgerät mit einem 4-Meter-Entfernungs-messbalken angebracht und mit dem direkt darunter befindlichen Rechenteil gekoppelt. Es wurde von einem entsprechend ausgebildeten aktiven Entfernungsmesser bedient. An beiden Schmalseiten des Gerätes befand sich je ein Sitz für den Seiten- und den Höhen-Richt-soldaten. Diese zwei konnten über Fernglasoptiken ebenso wie der Entfernungsmesser fliegende Ziele optisch anvisieren und durch Betätigung entsprechender Handräder, mit denen das gesamte Gerät motorisch ausgerichtet wurde, stets im Zentrum ihrer Optik halten. Damit gaben sie dem Rechenteil die notwendigen Grundwerte ein. Die Parallaxe zwischen dem Standort des Kommandogerätes und der Geschütze (Richtungswinkel, Höhenwinkel und Entfernung) war fest eingestellt und täglich wurden zusätzlich Windrichtung und Stärke sowie der Luftdruck in der Höhe in das Gerät eingegeben, weil auch diese einen Einfluss auf die Flugbahn der Geschosse haben konnten.
Die optische Ausstattung des Gerätes war so gut, dass wir Flugzeuge bei klarem Wetter bis zur schleswig-holsteinischen Westküste beobachten konnten. Natürlich waren über der Stadt Kiel auch das Öffnen der Bombenschächte und das folgende „Herausrieseln“ der Bombenlast genau zu sehen.
Den Kern des Rechenteils des Kommandogerätes bildete ein doppeltes „Weg-Geschwin-digkeits-Getriebe“. Über eine gleichmäßig rotierende Scheibe im unteren Teil des Gerätes wurden über Gestänge, die mit den oben erwähnten Handrädern gekoppelt waren, Röllchen nach innen oder außen verschoben. Deren dadurch veränderte Laufgeschwindigkeit verhalf dazu, das „Auswandern“ des Zieles im Verhältnis zum Standpunkt des Gerätes nach der Seite und der Höhe zu ermitteln. Über angeschlossene Motoren wurde das Gerät in seinen Achsen gedreht, so dass es immer auf das Ziel ausgerichtet blieb. Ein weiteres Weg-Geschwindig-keits-Getriebe diente der Ermittlung der Zünderstellzeit.
Wenn die drei Bedienungen das Ziel etliche Sekunden in ihren Zieloptiken genau mitgesteuert hatten, konnten sie ihre Handräder loslassen, denn der „Ortungsteil“ hatte nun das Ziel drei-dimensional erfasst und verfolgte sein Auswandern im Raum, also nach der Seite, Höhe und Entfernung ständig automatisch weiter. Erst wenn das Flugzeug seine Richtung, Höhe oder Geschwindigkeit änderte, mussten diese neuen Werte nachgesteuert und damit korrigiert werden.
Sobald das Gerät in seinem Ortungsteil das Ziel und seine Bewegung im dreidimensionalen Raum erkannt hatte, errechnete es im „Rechenteil“ fortlaufend den „Vorhalt“ für die Geschütze, um das Ziel am Ende der Flugzeit der Geschosse und ihrer Zünderstellzeit auch zu treffen. Dafür standen ihm im Rechenteil alle notwendigen Daten zur Verfügung. Für die Winkelberechnungen erforderliche Winkelfunktionen griff das Gerät von zwei exakt geschliffenen metallischen „Kurvenkörpern“ (z. B. dem „φTo / tTo-Kurvenkörper“ = Höhen-Schusswert / Zeit-Schusswert = Höhe / Entfernung) ab, die wie Sanduhren geformt waren und sich gleichmäßig drehten, aber auch in Achsrichtung verschoben werden konnten. Mehre verschiebbare Kugelstifte drückten gegen diese Kurvenkörper und „lasen“ so von ihnen die nötigen Angaben für die Winkelberechnungen ab. Darüber hinaus war das Gerät mit einer Vielzahl von Getrieben zur Umrechnung von Werten und Schaugläsern zur Anzeige der verschiedenen Zwischen- und Endwerte ausgestattet.
Als Beispiel sei der Weg des gemessenen Seitenwinkels zum Richtwert der Geschütze nach dem Rechenschema im Anhang dargestellt:
Der gemessene Entfernungswert ώσM geht in den Ortungsteil und wird parallel dazu über das Weg-Geschwindigkeits-Getriebe zu σM und geht dann sowohl an den Parallax-Rechner wie an den Windzerleger, die beide über Drehknöpfe die Seiten-Angaben σW und σP und die Entfernungsangaben W und P erhalten. Aus dem Ortungsteil kommt SU (aus ώσM ermittelt) und entnimmt dem Windzerleger wq, erhält den ballistischen Zeitbegriff tT über beide Kurvenkörper (Entfernung/Höhe) und (Zeit/Seite) und pq aus dem Parallax-Rechner, geht sodann als ΔS in das Vorhaltedreieck und verlässt es wieder als Δσ. Zusammen mit σM und einem ΔσD wird es zum Schusswert σTo, der nur noch durch den Kommandovorhalt ΔσKdo zum Richt-Seitenwinkel RW verändert werden kann.
Generell bestand also der Input des Kommandogerätes in den gemessenen Seiten- und Höhenwinkeln sowie der Entfernung zum Ziel und dessen zeitlicher Bewegung im Raum. Außerdem berechnete das Gerät in einem „Parallax-Rechner“ ständig die oben angeführte Parallaxe zu den etwa 125 Meter entfernten und etwa 12 Meter tiefer stehenden Geschützen und berücksichtigte über einen „Windzerleger“ die Windrichtung und -stärke, und verfügte ferner über die ballistischen Daten der Flugbahn und -geschwindigkeit der eigenen Geschosse sowie den Höhen-Luftdruck.
Mit dem Hazemeyer war eine Salvenglocke per Kabel verbunden, mit deren am Kabelende befindlichem Druckknopf an den Geschützen ein Klingelsignal den Salventakt auslösen sollte.
Den Output stellten die Soll-Seiten- und Höhenrichtung der Geschütze sowie die Soll-Zünderstellzeit dar, die - wie oben dargestellt - über Kabel an die Geschütze gelangten, die dann mit Hilfe der Folgezeigersystemen nach diesen Werten gerichtet wurden.
Wenn am Tage die eigenen schwarzen Sprengwolken zu beobachten waren, die z. B. etwas zu kurz lagen, konnte der Flakleiter der Batterie, bei uns in der Regel ein Oberfeldwebel, einen zusätzlichen „Kommandovorhalt“ z. B. „3 vor“ befehlen, der direkt in das Gerät eingegeben und dort „addiert“ wurde, um die Schussgenauigkeit noch etwas zu verbessern. Kommando-vorhalte gab es für alle drei Schusswerte: Seite, Höhe und Zünderstellzeit.
Das Gerät besaß an seiner Basis 32 Schleifringe für die Übertragung sämtlicher Werte und der Stromversorgung. Es konnte sich daher unbegrenzt im Kreise drehen. Zum Betrieb benötigte es 110 V Gleichstrom und 110 V Wechselstrom, die im Falle erwarteter größerer Angriffe durch ein eigenes Benzinaggregat, also vom Stadtstrom unabhängig, erzeugt werden konnten.
Das hier dargestellte Kommandogerät konnte natürlich nur am Tage bei optisch sichtbaren Zielen in der beschriebenen Weise funktionieren. Bei nächtlichen Angriffen wurde das Ziel von dem in der Nähe aufgestellten Radargerät nach seinem Seiten- und Höhenwinkel sowie der Entfernung erfasst. Diese Werte wurden dem Kommandogerät über Kabel mitgeteilt und von den drei Bedienungen durch Folgezeigersysteme (entsprechend den Systemen an den Geschützen) in den Rechenteil „eingelesen“. Dazu bewegte sich das Gerät dann so, als ob es ein Ziel optisch erfasst hätte und setzte auf diese Weise die bereits oben dargestellten Rechenprozesse in Gang.
Im Laufe des Jahres 1944 wurde das Hazemeyer-Gerät aus einem mir unbekannten Grund abgebaut und abgefahren. Stattdessen erhielten wir ein neues Gerät L 40 (?), das wir nicht so gut fanden, weil es sehr laute Motoren besaß, so dass man Tiefflieger nicht mehr herankommen hören konnte. Überdies besaß es keine Schleifringe sondern nur ein dickes Kabel an einem Galgen, so dass wir das Gerät im Einsatz nach etlichen Drehungen wieder zurücknudeln mussten, damit das Kabel nicht etwa abriss. Über ein möglicherweise anderes, besseres oder schlechteres Rechenverfahren und einen anderen inneren technischen Aufbau ist mir nichts Näheres bekannt.
Die Besatzung des sog. Mecke-Raumes innerhalb des Leitstandgebäudes mit HptGefr. Schellenberg.
5. Der Mecketisch,
der von einem Kapitän zur See namens Mecke erfunden worden sein soll, erlaubte
- einerseits die visuelle Darstellung des vom Radargerät gemessenen Zieles und
- stellte andererseits eine manuell bediente Umrechnungshilfe dar, die es der Batterie ermöglichte, auch mit den von anderen Radargeräten gemessenen Werten zu schießen oder anderen Batterien die Werte unseres Gerätes zu übermitteln.
Diesen Zwecken diente ein kreisrunder Tisch auf dem eine (nur rudimentäre Karte) mit den herausgehobenen, marinetypischen, hierarchisch gestaffelten Planquadraten aufgetragen war. Am abgeschrägten Tischrand waren Gradzahlen aufgebracht und über den Tisch lief radial ein Gestänge mit einem Schreibstift. Auf einem länglichen Seitentisch bestand die Möglichkeit, mit verschiebbaren Linealen Höhenwinkel und Entfernungen abzutragen.
Die Werte des Radargerätes einer fremden Batterie wurden per Telefon übermittelt und von Marinehelfern auf die Tische übertragen. Hier konnte man dann die tatsächliche Situation des Zieles im dreidimensionalen Raum erkennen und wieder per Telefon an das Kommandogerät oder das eigenen Radargerät durchgeben.
Die manuellen Einstellungen und die mehrfache telefonische Übertragung machten das Verfahren letztlich so fehlerhaft, dass es zwar hin und wieder geübt, aber im Ernstfall nur selten angewendet wurde.
Der Mecketisch wurde von 6 Marinehelfern bedient: Seite, Höhe und Entfernung sowie Seite FuMO, Höhe FuMO und Entfernung FuMO). Die „Nummer 7“ war der „LVK-BÜ (Befehls-übermittler zum Luftverteidigungskommando) und Nummer 8 der Sperrfeuer-BÜ.
Diese letzten beiden Nummern weisen darauf hin, dass sich die Kommunikation mit dem Flakleiter der „Luftverteidigung der Festung Kiel“ als wichtiger erwiesen hatte als die Umrechnung von Radarwerten. Dazu wurden regelmäßig bei allen Einsätzen die vom eigenen Radargerät gemessenen Werte Seite, Höhe und Entfernung per Telefon zur Bedienung des Tisches übertragen und von dieser am Tisch eingestellt. Der Schreibstift des Mecketisches (der nur selten tatsächlich „schrieb“) bewegte sich dann auf der Karte unter dem gemessenen Ziel und verfolgte so seinen Kurs. Der LVK-BÜ las die über das Kartenbild gelegten feinräumigen Planquadrate des aufgefassten Zieles ab und gab sie telefonisch an die Kommandozentrale durch. Er übermittelte ferner die Uhrzeiten und Schußarten der Batterie („Zielfeuer“ bei optisch erfassten und „FuMO-Feuer“ bei mit Radar erfassten Zielen.
Seine Angaben wurden auf der Gegenseite in der Kommandozentrale der 1. Marine-Flak-Brigade, der die örtliche Luftverteidigung und Flakführung im Großraum Kiel unterstand, von einer Marinehelferin mit einem Lichtpunktwerfer auf eine 3 x 6 Meter große Mattglastafel übertragen, die ebenfalls mit der Planquadrat-Einteilung versehen war. Für jede Batterie gab es eine solche Helferin, die insgesamt auf ansteigenden Sitzreihen mit sämtlichen Batterien verbunden waren. Auf diese Weise konnte der diensthabende Flakleiter die Bewegungen des angreifenden Verbandes und die Aktivitäten aller von ihm kommandierten Batterien an den Leuchtpunkten und Schussangaben im Auge behalten. Während meines gesamten Einsatzes in der Batterie habe ich die Aufgabe des LVK-BÜ bei jedem Flakalarm wahrgenommen.
Wenn unser Radargerät ein an sich erreichbares Ziel nicht erfasst hatte, schaltete sich der Flakleiter persönlich ein und gab dem LVK-BÜ den augenblicklichen Planquadrat-Standort des Zieles als eine sog. „Suchschaltung“ durch. Dieser Punkt wurde sodann am Mecketisch eingestellt und die hier abgelesenen Seiten-, Höhen- und Entfernungswerte dem Radargerät telefonisch - sozusagen reziprok - übermittelt. Dieses suchte dann in einem engen Winkel nach der Seite und Höhe das bisher nicht erkannte Ziel und konnte es jetzt in der Regel auch recht schnell auffassen. Derartige Suchschaltungen kamen praktisch bei jedem größeren Bombenangriff vor.
Eine weitere Aufgabe des LVK-BÜ bestand darin, dass sich unter dem Schreibstift bewegende vom Radargerät gemessene und von der Batterie beschossene Ziel im Hinblick auf eine realistische Fluggeschwindigkeit im Auge zu behalten. Erkannte er keine oder nur eine schwache Bewegung, konnte er selbst mit dem Ausruf: „Halt – Batterie halt ! Stehendes Ziel!“ das Schießen sofort abbrechen. Es handelte sich dann in der Regel um gemessene und beschossene Wolken von „Düppel“ (siehe unter Radar), die vom Wind vertrieben wurden.
Der Leitstand unter seiner Tarnung im Winter 1944/45
6. Der Sperrfeuertisch
Der sog. Sperrfeuertisch enthielt verschlüsselte Werte für die Durchführung eines „Sperr-feuers“. Wenn der Flakleiter der Luftverteidigung eine Sperrfeuer veranlassen wollte, gab er seinen Batterien diese Werte über den LVK-BÜ durch, die der Sperrfeuer-BÜ dann mit Hilfe des Sperrfeuertisches in unverschlüsselte Angaben über Seite, Höhe und Zünderstellzeit „übersetzte“ und telefonisch an die Geschütze durchgab. Auf einen wenig später angeord-neten Feuerbefehl schoss die Batterie dann nach dieser Einstellung die befohlene Anzahl Salven, in der Regel 10, unmittelbar hintereinander ab.
Der Flakleiter bemühte sich, den Sperrfeuer-Riegel seiner Batterien unmittelbar vor einen Bomberverband oder in dessen vorderen Teil des zu setzen. Es hat dann auch jeweils mehrere Abschüsse gegeben oder der Verband drehte unter dem Eindruck des Sperrfeuers im letzten Augenblick ab und gab so den direkten Anflug auf. Wegen des großen Munitionsverbrauchs kamen Sperrfeuer aber nicht sehr oft vor.
Verleihung von Eisernen Kreuzen, in der Mitte der Batteriechef Oblt.Wegener,links von ihm der Geschützführer des 4. Geschützes
Artilleriemaat Fischer. Im Hintergrund die vier Geschütze 12,8 Flak 40 M in ihren Bettungen aus Erdwällen.
7. Das Funkmeßortungsgerät (FuMO = Radar)
Das Radargerät unserer Batterie war vom Typ „Würzburg“, hergestellt von Telefunken, wenn ich mich nicht irre. Es war ursprünglich fahrbar konstruiert und bestand aus einem runden schüsselartigen Schirm von etwa 2 m Durchmesser und dem Anzeigeteil. Hier befanden sich Braun’sche Röhren, auf denen „Zacken“ das Ziel bezeichneten, das dann von der Bedienung auf der Zielmarke gehalten werden musste. Dazu drehte sich das gesamte Gerät dann mit seiner Antennenschüssel in Richtung auf das Ziel. Die Reichweite des Gerätes lag bei 30 bis 40 Km und es hatte öfter technische Störungen. Da es damals noch geheim gehalten wurde, durften Marinehelfer nur in Ausnahmefällen am Gerät Dienst tun.
Das Gerät arbeitete nur mit einer festen Frequenz und wurde von den Bomberverbänden durch „Düppel“ gestört, das waren Stanniolstreifen von 27 cm Länge, die in Massen abgeworfen wurden und falsche Ziele markierten. Gelegentlich kam auch „Lebertran“ vor, dabei handelte es sich um Aussendungen von Störsendern, die den Empfang des reflektierten Radarstrahls beeinträchtigten.
Ich kann mich an Nächte erinnern, in denen wir „blind“ waren und dem Flakleiter der Brigade „Düppel in allen Sektoren“ meldeten. In diesen Fällen wurde dann versucht, mit den am Mecketisch umgerechneten Werten anderer, noch ungestörter Batterien zu schießen.
Rohrwechsel unter der Leitung eines Technikers vom Marineatillerie-
Zeugamt.
8. Die Flakabwehr
Die Annäherung feindlicher Flugzeuge wurde von Freya-Geräten an der Küste mit einer Reichweite von über 100 Km erfasst. Zunächst gab es dann über den Befehlslautsprecher „Luftgefahr 30“, das bedeutet eine Annäherung in etwa 30 Minuten. Der nächste Befehl lautete: „Funkmessgeräte einschalten“, weil die röhrenbestückten Radargeräte eine längere Zeit zum Aufwärmen bzw. zum Aufbau der erforderlichen Hochspannung benötigten. Es folgte „Luftgefahr 15“ und dann „Flakalarm“. Alle diese Mitteilungen bzw. Befehle wurden im Logbuch vermerkt und dem Batteriechef sowie dem UvD (Unteroffizier vom Dienst) telefonisch durchgesagt, der sie zwischen den Mannschaftsunterkünften „auspfiff“.
Unabhängig davon hörten wir – nach der Luftgefahr 15 – aus der Stadt Kiel die Sirenen „Fliegeralarm“ ankündigen.
Flakalarm bedeutete Stress für den einsamen Marinehelfer, der allein bis Mitternacht im Leitstand die gesamte Verbindung mit der Außenwelt aufrechterhielt. Zu seinem Schutz – oder besser wohl des Kommandogerätes – stand ein aktiver Soldat unter Gewehr Posten auf dem Dach des Leitstandes. Den Stress bildete neben dem Eintrag aller eintreffenden Meldungen und Befehle in das Logbuch vor allem die kräftezehrende manuelle Betätigung des Alarmgebers, die Information des UvD und die Beantwortung aller nahezu gleichzeitigen telefonischen Anfragen aus der Batterie nach den letzten Luftlagemeldungen.
Dann trat für wenige Minuten Ruhe ein bis die Offiziere, Unteroffiziere, Soldaten und Marinehelfer im Laufschritt aus den Baracken der mehrere hundert Meter entfernten Batterie erschienen und ihre für alle Einsätze eingeteilten Stammplätze einnahmen.
Sobald erkennbar wurde, dass der Stadt Kiel ein Bombenangriff drohte, kam der Befehl „Aggregate einschalten“. Damit wurde die Batterie von der „Landstromversorgung“ durch die öffentlichen Elektrizitätswerke unabhängig gemacht.
Während des Einsatzes wurden Ziele bei Tage optisch und in der Nacht mittels Radar erfasst und wenn sie sich in Schussreichweite befanden auch beschossen. Bei lange dauernden Flakalarmen, z. B. bei Angriffen auf Berlin über die Ostsee, konnte der Batteriechef auch schon mal selbständig „Bereitschaftsgrad Kriegswache Achtung“ anordnen, worauf die Mannschaften bis auf eine Kernbesetzung in die Baracken zurückkehren durften.
Kam kein Alarm, gab es dann hin und wieder ärgerlicherweise nächtliche Übungen, einge-leitet durch die freundliche Mitteilung: „Es folgt eine Feuerleitung zur Übung auf ein angenommenes Ziel“, in der Regel eine W 34 der Luftwaffe. Brachte die gesamte Batterie eine vom Batteriechef vorgegebene Spendensumme für das Winterhilfswerk zusammen, konnten wir dem Chef eine solche Übung auch schon mal quasi „abkaufen“, sie entfiel dann. Andererseits musste die Besatzung des Radargerätes nächtliche Sonderübungen hinnehmen, wenn sie wiederholt an sich in ihrer Reichweite befindliche Ziele nicht erfasst hatte, mochten dafür auch technische Gründe verantwortlich gewesen sein.
Eine irgendwie organisierte Zusammenarbeit mit Scheinwerfern, Horchgeräten und Sperr-ballons gab es jedenfalls auf der Ebene unserer Batterie nicht. Wir haben im Laufe des Jahres 1944 kaum noch bemerkt, dass diese überhaupt existierten. Das gleiche galt für die Luftwaffe. Gelegentlich erfuhren wir durch den Befehlslautsprecher, dass ein deutscher Jäger vor einem Bombenangriff noch schnell in Schleswig zu landen versuchte und wir ihn nicht beschießen sollten. Die ganze Batterie lachte dann über die tapfere Luftwaffe. Einer unangekündigten He 111 haben wir dann gehörig zugesetzt, aber sie konnte noch – wenn auch ziemlich durchlöchert – landen.
Im Übrigen gab es noch keine Freund-/Feind-Erkennung im Radar. Ein deutsches Flugzeug musste bei Nacht ein täglich wechselndes, geheimes Erkennungssignal aus fünf nacheinander abgefeuerten farbigen Patronen aus der Signalpistole (z.B. 2 weiß, 2 rot, 1 weiß) abgeben, um erkannt zu werden. Das war natürlich aus dem geöffneten Kabinendach eines einsitzigen Jagdflugzeuges nicht ganz einfach.
Einige aktive Soldaten wurden auf besonderen Lehrgängen in der Flugzeugerkennung („FED“) ausgebildet. Sie mussten dann alle alliierten Flugzeugmuster in kurzer Zeit aus allen Winkeln bestimmen können. Das machte natürlich nur am Tage bei entsprechender Sicht Sinn. Ich erinnere mich, dass unser FED-Experte eines Tages klar einen englischen Flugzeug-typ ausgemacht hatte und wir das der Kommandozentrale auch sofort meldeten. Über den Befehlslautsprecher wurden wir aber fälschlich informiert, dass es sich um deutsche Flugzeuge handeln sollte und wir deshalb nicht schießen dürften. So konnten die Flugzeuge in aller Ruhe ihre Minen in den Nord-Ostsee-Kanal werfen. Erst einige Minuten später wurde der Irrtum erkannt und das Schießen freigegeben.
Der Einsatz von Luftwaffen-Nebelkompanien konnte von uns nicht übersehen werden, da sie uns durch ihr Einnebeln gelegentlich sogar jede Sicht raubten, so dass ein Marinehelfer mit der Bitte ausgeschickt werden musste, sie möchten ihre Tätigkeit in unserer Nähe sofort ein-schränken. Eine direkte Telefonverbindung gab es nämlich nicht.
Abschuss
Eigene Flugzeugabschüsse konnten von uns – vor allem nachts – kaum direkt beobachtet werden. Nach jedem Angriff setzten sich die Batterieoffiziere zusammen und überprüften, ob wir räumlich und zeitlich eine Beteiligung an einem Abschuss einfordern konnten.
Am 19.05.1944 stürzte eine amerikanische B17 / Fortress 2 bei Tage in der Nähe unserer Batterie ab. Die Besatzung von 10 Mann konnte größtenteils noch mit dem Fallschirm abspringen. Die Maschine zerlegte sich in der Luft und beim Aufprall in mehrere Teile: Der Rumpf fiel der Länge nach genau in die Mitte der Eichendorffstrasse. Cockpit und Heckleitwerk lagen an anderer Stelle und die Tragflächen fanden sich auf dem Professor-Peters-Platz wieder, nach dem die Motoren heraus gebrochen waren.
Ich hatte die Gelegenheit, mit einigen Kameraden das Wrack zu besichtigen, noch bevor die Absturzstellen von deutscher Infanterie abgesperrt wurden und konnte sowohl in den Rumpf als auch in den Bordschützen-Stand im Heck klettern. Wir konnten dabei einige wenige wertlose Erinnerungsstücke, wie Stücke von Landkarten und Fallschirmen mitnehmen. Zwei große Schlauchboote, die aus Klappen im Rumpf oberhalb der Flügel heraus gefallen waren und sich sonst unversehrt aufgeblasen hatten, waren für einen schnellen Abtransport zu groß und zu schwer. Auch ein Seenotsender mit Kurbeltrieb und Kastendrachen mit Drahtantenne sowie ein noch verpackter Fallschirm waren unserem Zugriff leider entzogen. Der Besitzer, ein farbiger Bordschütze aus der Kanzel unter dem Rumpf, war gefallen und soll sich noch an seinem Platz befunden haben. Ich habe ihn aber nicht gesehen.
Für jeden Abschuss erhielten alle an dem jeweiligen Einsatz Beteiligten je 2 „Punkte“, für jeden Abschuss, an dem die Batterie wenigstens beteiligt war, 1 Punkt. Im Laufe des Jahres 1944 gab es ferner für jede „Teilnahme an der Luftabwehr der Festung Kiel“ ½ Punkt. Ich hatte am Ende meiner Dienstzeit insgesamt 13 ½ Punkte (?) aufzuweisen. Bei 10 (?) Punkten gab es das „Kriegsabzeichen der Marineartillerie“ mit Urkunde vom 2. Admiral der Ostseestation, auf das wir natürlich sehr stolz waren.
Eiserne Kreuze zweiter Klasse wurden der Reihe nach dem Batteriechef, den Batterie-offizieren und solchen Geschützführern verliehen, die sich bei Angriffen mit ihrer Geschützbedienung besonders ausgezeichnet hatten.
Der Kriegsflagge der Batterie wurden kleine Abschusswimpel hinzugefügt, die unter der Flagge gesetzt wurden.
Einschränkungen und Änderungen des Einsatzes
Im Laufe des Jahres 1944 wurde zum Einsparen von Munition angeordnet, dass wir nur noch auf Bomberverbände schießen durften, die ihre Bomben noch nicht abgeworfen hatten. Danach waren sie für uns „Tabu“. Das galt auch für einzelne Flugzeuge, z. B. Aufklärer, die völlig ungestört über Kiel kurven und ihre Aufnahmen machen konnten. So geschah es auch am 8. oder 9. April 1945 durch einen Mosquito-Aufklärer. In der Nacht vom 9. auf den 10. April 1945 erfolgte dann ein Angriff des Bomber Command der Royal Air Force auf Kiel mit insgesamt 2.634 t Bomben. Sie ließen den schweren Kreuzer „Admiral Scheer“ kentern und versenkten zwei U-Boote und je ein Minensuchboot und Torpedoboot sowie den Hochsee-schlepper „Seefalke“ und 3 Handelsschiffe. Die Kreuzer „Hipper“ und „Emden“ wurden dabei schwer beschädigt.
Wir waren verärgert, weil wir die „eingesparte“ Munition abgeben mussten und es hieß, sie ginge nach Hamburg, dort dürfe man nämlich wie bisher auf alle fliegenden Ziele schießen. In Hamburg soll es sogar einige 12,8 cm-Zwillingsgeschütze gegeben haben.
Als Vorbereitung auf eine mögliche Invasion wurden im Laufe des Jahres 1944 Panzer-sprenggranaten ausgeliefert und die bisher unbekannten Verfahren zum Beschuss von Erd-zielen geübt. Außerdem fanden infanteristische „Überfälle“ auf die Batterien in Schulensee und Schwartenbek statt. Dazu gehörten lange Märsche, feldmäßige Annäherung und eben die bewaffneten Überfälle mit viel Platzpatronen-Feuer. Diese anstrengenden ganztägigen Übun-gen endeten stets mit einem deftigen Eintopfessen.
Aus Furcht vor Spionage und Sabotage wurden auf alle Batterien Scheinerkundungen durch-geführt. Ein fremder Unteroffizier sprach z. B. Soldaten unserer Batterie an und ließ sich eine „Abkürzung“ seines Weges zeigen, der ihn den „Posten Tor“ und den UvD umgehen ließ. Er drang ungesehen in einen Munitionsbunker ein, legte dort eine leere Zigarrenkiste ab und meldete dann seinen „Erfolg“. Ein angeblicher Leutnant mit einem Soldbuch, das ihn aber nur als Oberfähnrich auswies, ließ sich den Weg zum FuMO zeigen und unterhielt sich dort angeregt mit dem Gerätewart über technische Probleme. Der inzwischen informierte Geräte-führer, ein Feldwebel, ließ ihn anschließend festnehmen. Nach einer Stunde in der Arrestzelle gab er eine Telefonnummer bekannt, die ihn dann mit seinem „Spionageauftrag“ auswies und erlöste. Die Ergebnisse derartiger Einsätze wurden gesammelt und von Zeit zu Zeit in allen Batterien verlesen.
Unsere Marinehelfer-Klasse mit den drei Ausbildern.
Marinehelfer am 4. Geschütz.Vorn Schmidt-Holländer als BÜ, dahinter Beucker am Steuerrad für die Seiten- (Höhen-)Richtmaschine.
9. Die Marinehelfer
Wie bereits eingangs erwähnt, wurde unsere gesamte Schulklasse des Jahrgangs 1928 auf der Oberschule für Jungen am Königsweg (heute Max-Planck-Schule) geschlossen durch einen „Heranziehungsbescheid (?)“ zum Dienst bei der Marineflak der Marineartillerie verpflichtet.
Wir wohnten zuerst in einem der unterirdischen Munitionsbunker bis die vorangegangene Klasse die Unterkunft der Marinehelfer, eine Baracke mit je einem großen Wohn- und einem Schlafraum geräumt hatte. Die ersten Wochen waren der Grundausbildung vorbehalten und wir „robbten“ dabei oft in Drillichzeug über die nasse Wiese und mussten im Chor brüllen: „Mit uns hat die Marine einen Fang gemacht“. Der etwas ungeschickte Klassenprimus hatte sich auf die Bettung eines Geschützes zu stellen und zu schreien: „Ich bin zu doof für diesen Globus“.
Unsere Ausstattung (siehe auch Abschnitt 10. Die Ausstattung) bestand neben dem Drillich-anzug aus einer grauen Uniform mit Mantel für den Alltag mit einer grauen Skimütze und einer blauen Uniform mit dem breiten Matrosenkragen, der dunkelblauen Halsbinde mit der weißen Schleife (der sog. „Fliege“) für den Sonntag, den Urlaub und besondere Gelegenheiten,. Dazu gehörte die kurze blaue Jacke („Collani“) und ein blaues Käppi. Die Jacke zierte eine schmale hellblaue Armbinde mit der Aufschrift in gold „Marinehelfer“, sie war auf den Ärmel fest aufgenäht. Außerdem sollten wir eine HJ-Armbinde tragen, die wir jedoch auf Druckknöpfe setzen ließen, um sie beim „Anlandgang“ abnehmen zu können, da wir sie nicht sonderlich schätzten. Während des gesamten Aufenthaltes kamen nur ein einziges Mal HJ-Führer zu uns in die Batterie und versprachen uns Liederbücher, die allerdings nicht eintrafen. Ihre Aufforderung, uns während des Urlaubs bei unseren früheren Jungvolk- bzw. HJ-Einheiten zum Dienst zu melden, empfanden wir als grobe Zumutung für „echte Soldaten“, die denn auch keiner von uns einhielt.
Stattdessen hörten wir – was formell unter der Drohung der Todesstrafe stand – regelmäßig die deutschen Nachrichten des BBC ab. Da unsere Baracke etwas abseits lag, der Zugang von uns überwacht werden konnte und der Zusammenhalt unserer Klasse legendär war, konnten wir uns das ziemlich gefahrlos erlauben.
Wie die Grundausbildung erfolgte auch die anschließende Ausbildung für den späteren Einsatz in der Batterie selbst. Die Einteilung der Marinehelfer für ihre künftigen Aufgaben richtete sich ganz einfach nach der Größe. Die Größten kamen als Richtkanoniere an die Geschütze und die „Kleinen“ an den Leitstand. Sie galten nach Ansicht der Marine ohnehin als intelligenter als ihre größeren Klassenkameraden.
Auf dem Leitstand fand das sog. „Mecke-Exerzieren statt. Obwohl hier im Einsatz jeder Marinehelfer immer eine ganz bestimmte Aufgabe zu erfüllen hatte, sollte doch jeder im Urlaubsfall und bei anderen Ausfällen alle Posten ausfüllen können. Wir mussten dazu in zwei Reihen zu je 4 Mann antreten, wobei jedem Platz – wie bei der Marine allgemein üblich – eine bestimmte Bedienungs-„Nummer“ zugeteilt war:
Nr.1 = Seite FuMO, Nr.2 = HöheFuMO, Nr.3 = Entfernung FuMO,
Nr.4, 5, 6 = FuMO-BÜ (?), Nr. 7 = LVK-BÜ, Nr. 8 = Sperrfeuer-BÜ.
Auf das Kommando „Nummer wechselt um!“ traten alle auf den Platz rechts von dem bisherigen (der rechte Flügelmann einen Platz zurück und der Mann in der hinteren Reihe ganz links dementsprechend einen Schritt vor) und auf „Einmal alte Nummer!“ wechselte jeder auf den Platz links von seinem bisherigen. Diese Kommandos wurden von dem Ausbilder in schneller wechselnder Folge mehrfach hintereinander gegeben.
Auf seinen plötzlichen Ruf „Alarm!“ musste dann jeder an die Stelle des Mecketisches laufen, die dem gerade von ihm besetzten Bedienungsplatz (= Nummer) entsprach. Hier war dann die zugehörige Aufgabe auswendig herzusagen. Z.B.: „Nummer 1 bedient Seite FuMO und stellt laufend die vom FuMO durchgegeben Werte an der äußeren Gradeinteilung ein“ usw. Wenn ein Helfer auf einen falschen Platz rannte oder den Spruch falsch hersagte, musste der ganze Verein einen abfallenden Gartenweg vom Hügel, auf dem der Leitstand lag, hinunterlaufen und wieder hinauf hüpfen.
Während des Aufenthaltes in der Batterie fand jeden Vormittag in unserem Wohnraum Schulunterricht statt. Am Nachmittag waren Hausaufgaben unter der Aufsicht eines „Betreuungslehrers“ zu erledigen, der ebenfalls in der Batterie wohnte. Die anderen Lehrer stammten aus unserer Schule und fuhren täglich zur Batterie hinaus. An einem Tag in der Woche fuhren wir alle in unser Schulgebäude am Königsweg, um dort den Fachunterricht in Chemie und Physik abzuwickeln.
Während dieser Zeit war die Batterie „abgemeldet“, d. h. ohne uns nicht einsatzfähig. Gab es an diesem Tag den durch Sirenen verkündeten Luftalarm, mussten wir den Unterricht abbrechen und so schnell wie möglich in die Batterie zurückkehren. Wir setzten unseren ganzen Ehrgeiz darin, diese Anordnung als Anhalter mit Fahrzeugen oder auf Fahrrädern zu erfüllen. Da wir natürlich erst nacheinander eintrafen, wurde zuerst nur ein Geschütz besetzt usw.
Auch bei Flakalarm während des Vormittagsunterrichtes wurde dieser sofort abgebrochen und um unsere Lehrer zu beeindrucken sprangen wir über Hocker und Tische auf dem schnellsten Weg zum Ausgang aus der Baracke.
Als wir entlassen wurden, waren wir noch „zu jung“ für ein Notabitur und erhielten stattdessen eine „Vorsemester-Bescheinigung“, die uns den Weg zum Abitur ebnen sollte. Ich konnte aber tatsächlich das Abitur erst im Februar 1949 an meiner ehemaligen Schule ablegen, nachdem dort der entsprechende Unterricht Ende 1945 wieder aufgenommen wurde.
Außer dem Schulunterricht hielt ein Batterieoffizier mit uns einen Lehrgang in Flugzeug-erkennung, Flugzeugortung, Vorhalterechnung und Ballistik ab. Bei dieser Gelegenheit lernten wir auch erstmalig die Winkelfunktionen kennen, die im Schulunterricht noch gar nicht „dran“ waren.
Jeden Monat musste ein Marinehelfer einen Vortrag zu einem selbst gewählten Thema in der Kantine vor der ganzen Batterie halten. Und jeden Tag aß im Wechsel ein Marinehelfer mit den Batterieoffizieren in der Offiziersmesse, entweder um „Volksnähe“ zu praktizieren oder weil alle mehr oder weniger freiwillig Offiziersbewerber waren.
Wir erhielten auch Sportunterricht und gelegentlich fanden Fußballspiele gegen Mannschaften anderer Einheiten statt, die von uns mit Sprechchören angeheizt wurden, wie „Bizeps gegen Großhirnrinde“.
Die Marinehelfer erhielten für je 10 (?) Tage einen Wehrsold von RM 5,50 (?) wovon wohl oder übel 0,50 bis 1,00 „freiwillig“ für das Winterhilfswerk zu spenden waren, da man direkt nach der Auszahlung an einem mit der Sammlung beauftragten Offizier (oder gelegentlich Feldwebel) vorbeigehen musste.
Es gab etwa alle 4 Wochen einen „Wochenend- und einmal im Jahr 14 Tage „Heimaturlaub“.
Dazu legten einige von uns wahre Phantasie-Uniformen an: Runde Marine-Tellermütze, blauer Collani, graue Reithose und Reitstiefel. Bis auf einige erstaunte Rückfragen nach der sonderbaren Einheit gab es wider Erwarten keine Beanstandung.
Wir spielten in der Freizeit oft die Glücksspiele „17 und 4“ oder „Lotterie“, natürlich um Geld. Am Wochenende haben wir wiederholt eine Schulklasse junger Mädchen zum Tanzen in unsere Baracke eingeladen. Das erstere war komplett, das zweite nach der Verkündung des totalen Krieges ebenfalls verboten. Wir stellten deshalb einen Beobachtungsposten an dem einzigen Weg zu unserer etwas abgelegenen Baracke auf, der uns vor der Annäherung unerwünschter Besucher warnte, wozu natürlich auch der Batteriechef zählte, der sich gern um uns kümmerte.
Dann wurde das Geld sofort vom Tisch in die auf den Knien bereitgehaltenen Mützen gefegt und ebenso plötzlich Skat gespielt bzw. an Stelle des Tanzvergnügens wurden (harmlose) Pfänderspiele veranstaltet. Den Batteriechef regte es auf, wenn ein Mitspieler offensichtlich die Skatregeln nicht kannte und er fühlte sich dann zu unserer klammheimlichen Erheiterung verpflichtet, ihm tatkräftig zu helfen.
Nach 9 Monaten erfolgte eine Beförderung zum „Marine-Oberhelfer“. Die entsprechende Aufschrift auf einer blauen Armbinde war von zwei mit etwa 2 – 3 mm sehr schmalen eingestickten goldenen Streifen eingefasst. Wir ließen sofort von unseren Müttern eindrucks-vollere, etwa 6 - 8 mm breite goldene Litzen darüber nähen, ohne dass es zu Beanstandungen kam.
Wie schon erwähnt, gab es für jeden Abschuss 2 „Punkte“, und für jede Beteiligung an einem Abschuss 1 Punkt. Im Laufe des Jahres 1944 gab es ferner für jede „Teilnahme an Gross- einsätzen bei der Flugabwehr in der Festung Kiel“ ½ Punkt. Wie ich ebenfalls schon ausgeführt hatte, konnte ich am Ende meiner Dienstzeit insgesamt 13 ½ Punkte aufweisen und zwar für Beteiligungen am 19.05.44 (1), 22.05.44 (3), 18.06.44 (1) und 24.07.44 (2) sowie für 13 Großeinsätze am 19.05, 22.05., 06.07., 18.07., 24.07., 04.08., 12.08., 16.08., 24.08., 26.08., 30.08., 12.09., und 16.09. (je ½).
Nach Erreichen von 10 Punkten erhielt auch ich am 25.08.1944 das „Kriegsabzeichen für die Marineartillerie“ mit Urkunde von einem Konteradmiral und Küstenbefehlshaber westl. Ostsee verliehen. Für Fähnriche galt die Zeit ihres Einsatzes in unserer Batterie übrigens als nachgewiesene „Frontbewährung“.
Eiserne Kreuze zweiter Klasse wurden der Reihe nach dem Batteriechef, den Batterie-offizieren und solchen Geschützführern verliehen, die sich bei Angriffen mit ihrer Geschützbedienung besonders ausgezeichnet hatten.
Der Kriegsflagge der Batterie wurden für direkte Abschüsse kleine Abschusswimpel hinzugefügt, die unter der Flagge gesetzt wurden. Ich kann mich an zwei davon erinnern, wobei wir in einem Falle als einzige Batterie geschossen hatten und das Ergebnis – ein Volltreffer – auch noch gefilmt worden war.
Ein Teil der Besatzung des Leitstandes im Einsatz (von links nach rechts:Schulze,Röpel,Albrecht,der Batteriechef Oblt.Wegner,Maat Sauer, Obfeldw. Lübker,Dock). In der Mitte der Entfernungsmessbalken des Hazemeyer-Kommandogerätes.
10. Ausstattung
Wir wurden mit der nachfolgenden Ausstattung versehen:
Erste Garnitur (blau):
Zweite Garnitur (blau):
Dritte Garnitur (grau):
Drillichzeug:
Übrige Bekeidung/Wäsche:
Bettwäsche:
Essgeschirr:
Sonstiges:
11. Verpflegung (und Extra-Verpflegung)
Die Verpflegung war wie bei der Marine üblich, gut und reichlich. Wir konnten davon sogar unseren Eltern und den Lehrern abgeben. An einem früheren Standort der Batterie am Vieburger Gehölz im Süden Kiels hatte sie eine komplette Gärtnerei gepachtet, die auch nach der Verlegung an das Nordmarksportfeld beibehalten und von einigen Soldaten mit einschlä-giger Gärtner-Erfahrung und etlichen Kriegsgefangenen betreut wurde. Diese Batterie-angehörigen standen natürlich wegen der erheblichen Entfernung für Kampfeinsätze gar nicht zur Verfügung. Ich glaube kaum, dass vorgesetzten Stellen diese Einrichtung bekannt war. Aber von dort erhielten wir regelmäßig zusätzlich Gemüse und Früchte, wie z. B. Erdbeeren für alle, deshalb hielten wir den Mund.
Auf den bewachsenen Munitionsbunkern weidete eine kleine Schafherde und in besonderen Stallungen wurden Schweine, Kaninchen und Geflügel gehalten, alles sorgsam gehegte Fleischlieferanten, die unseren Speisezettel ebenfalls erfreulich bereicherten.
Wenn es Bratkartoffeln gab, musste jede „Backschaft“ ihre Kartoffeln selbst schälen. Die Marinehelfer bildeten eine eigene Backschaft und mussten während meiner Dienstzeit zwei Mal die Kartoffeln für die gesamte Batterie schälen, weil wir angeblich zu wenig davon abgeliefert hatten. Der Batteriechef wollte unsere Zerknirschung bei dieser Strafe persönlich in Augenschein nehmen und war sehr enttäuscht, dass wir das ganze als Spaß auffassten und jede abgelieferte „Barkasse“ (= marinetypischer, großer, ovaler Aluminiumkessel) mit großem Hallo und einem Kreidering um den Mittelpfeiler des Wohnraumes – wie einen Abschussring – feierten.
Ich war damals klein und schmächtig, deshalb stellte der Batteriechef mich von sich aus einem Marineoberstabsarzt vor, der aus anderem Grunde in unsere Batterie gekommen war. Er „verordnete“ mir nach kurzer Untersuchung „Sonderverpflegung“ die sogar (ohne Untersuchung) noch einmal verlängert wurde und mich für mehrere Monate verwöhnte. Ich bekam Extra-Butter, -Zucker, -Aufschnitt und – was mich besonders begeisterte – täglich einen reichlichen „Picknapf“ (= Marine-Emaille-Eßgeschirr) voll Milchsuppe mit Nudeln oder Graupen. Diese Extraration kochte auf dem Herd in der Kombüse langsam zu einer süßen, puddingartigen Konsistenz zusammen, die ich mir dann am Nachmittag abholte und dabei vom Kochpersonal lachend als „Kombüsenkreuzer“ bezeichnet wurde. Auch von der reichlichen Zusatzverpflegung konnte ich meinen Eltern vieles abgeben.
12. Das Leben in der Batterie
Alle 14 Tage wurde in der Kantine ein Film vorgeführt, zu dem alle Batterieangehörigen ihre Schemel mitbrachten. Gelegentlich gab es „Bunte Abende“ mit humoristischen aber auch ernsthaften Aufführungen, die insbesondere von uns Marinehelfern gestaltet wurden. So wurden unter anderem „Der Kornett“ von Kleist und „Die Heidbauern“ in Originalkostümen aus dem Stadttheater aufgeführt. Bei Zirkusspielen sprangen u. a. in Felle gekleidete „Löwen“ gekonnt durch brennende Reifen, „Wölfe“ balancierten über schmale Bretter und ein „Tanzbär“ führte brummend seine Kunststücke vor.
In der Nacht vor Ostern versteckte der Batteriechef Weinflaschen und Zigarettenpäckchen im Batteriegelände. Da Marinehelfer nicht rauchen durften, bekamen sie im Austausch für gefundene „Ostereier“ Schokolade. Die Suche dauerte in der Regel den ganzen Ostersonntag, so raffiniert waren die Verstecke ausgewählt. Weihnachts- und Silvesterfeiern nahmen oft einen feucht-fröhlichen Verlauf, bei dem die Marinehelfer schon einmal unerkannt Platz-patronen durch die Schornsteine in die Kanonenöfen der Offiziers- und Unteroffiziers-Barak-ken warfen oder eines der Batterieschweine in den Wohnraum des Betreuungslehrers sperrten.
Wenig Begeisterung erweckte bei allen Soldaten die „Gastaufe“, die sogar im Wehrpass vermerkt wurde. Dazu mussten die noch Ungetauften im dazu extra abgedichteten Waschraum im Kreise herumlaufen und singend ein Reizgas („Blaukreuz“) einatmen. Anschließend war die Gasmaske aufzusetzen, in die man sich in der aufkommenden Übelkeit zu erbrechen hatte, ohne dabei den Filter zu verstopfen. Das sollte eben erlernt werden..
Das samstägliche „Reinschiff“ sollte zur Übung auch unter der Gasmaske durchgeführt werden. Da das sehr lästig war, hängten wir sie uns nur um den Hals und stellten an dem Zuweg zu unserer Baracke einen Beobachtungsposten mit Gasmaske auf, der dort Schemel abschrubbte und uns bei Annäherung der Kontrolle durch den UvD hörbar warnte indem er wie zufällig seine Wurzelbürste scheppernd in einen leeren Eimer fallen ließ.
Das morgendliche Wecken durch den UvD erfolgte nach Marineart mit „Reise, reise aufsteh’n“ und einem zusätzlichen Spruch, wie „Auf jedem Kahn, der dampft und schwabbelt, ist einer der ganz dämlich sabbelt“ oder „Kommt hoch ihr müden Leiber, die Pier steht voller nackter Weiber.“ Die folgende Körperwäsche fand bei entblößtem Oberkörper unter Kalt-wasserhähnen statt, von denen wir im Winter zunächst die Eiszapfen abschlugen.
Jeden Mittag fand eine Musterung statt, zudem die gesamte Batterie antrat, die Offiziere in einer Reihe in Front und die Unteroffiziere vor ihren jeweiligen Gruppen. Bei dieser Gelegenheit erfolgten Bekanntmachungen und anschließend hieß es: „Meldungen und Gesuche“, bei denen wir uns bei dem Batteriechef in Urlaub ab- oder vom Urlaub zurückmeldeten, zum Dienstgrad befördert und (selten, bei den Marinehelfern gar nicht) in oder aus dem Arrest.
Als spezielle Strafe, die besonders uns Marinehelfer traf, hatte der Batteriechef nämlich die sog. „Gruppe Schwarz“ erfunden. Es gab davon für kleinere Vergehen jeweils 1 bis 5 Tage. Diese musste man in der Freizeit abarbeiten, wozu der UvD „Gruppe Schwarz heraustreten“ auspfiff und dann alle möglichen Arbeiten im Batteriegelände verteilte. Solange man seine Tage noch nicht voll abgearbeitet hatte, gab es keinen Urlaub, das tat weh. Wir fanden es auch unfair, wenn ein UvD die geleistete Arbeit als zu gering einstufte und dafür keinen Tag anrechnete, so dass man seine Freizeit vergebens geopfert hatte.
Ich bekam einmal 3 Tage Gruppe Schwarz „für freche Antwort an Dr. Moritz“, unseren Betreuungslehrer, der mich beim Alten verpfiffen hatte, und je einen Tag für „aus dem Fenster geklettert“ und „über die Wiese gelaufen“, nämlich eine Abkürzung zur Sauna bei der Nebelkompanie, was aber verboten war.
Eine nationalsozialistische Beeinflussung fand in unserer Batterie eigentlich nicht statt. Wir standen dieser Ideologie im 6. Kriegsjahr auch wohl zu fern. Ein auf dem nahe gelegenen Nordmarksportfeld übendes Fähnlein Jungvolk wurde in meinem Beisein von einem Marine-helfer aus der älteren Klasse vor uns sogar lauthals – und unbehelligt – als „Nazibande“ tituliert.
Wie schon erwähnt, nahmen wir die obligatorische HJ-Armbinde sofort ab, wenn wir die Batterie verließen, da wir nicht schätzten, für Hitlerjungen gehalten zu werden. Während unseres gesamten Aufenthaltes kamen nur ein einziges Mal HJ-Führer zu uns in die Batterie und versprachen uns Liederbücher, die dann allerdings doch nicht eintrafen. Ihre Auf-forderung, uns während des Urlaubs bei unseren früheren Jungvolk- bzw. HJ-Einheiten zum Dienst zu melden, empfanden wir als eine grobe Zumutung für „echte Soldaten“, der denn auch keiner von uns nachkam.
Stattdessen hörten wir – was formell unter der Drohung der Todesstrafe stand – regelmäßig die deutschen Nachrichten des BBC ab. Da unsere Baracke ja etwas abseits lag, der Zugang von uns überwacht werden konnte und der Zusammenhalt unserer Klasse legendär war, konnten wir uns das ziemlich gefahrlos erlauben. Im Herbst 1944 glaubten wir nämlich nicht mehr an einen „Endsieg“ und als wir im Anschluss an die Dienstzeit als Marinehelfer zum RAD (= Reichsarbeitsdienst) eingezogen wurden, setzten wir alles daran, nun nicht noch an irgendeiner Front sinnlos „verheizt“ zu werden.
13. Besondere Vorfälle
Ich erinnere mich an drei besondere Vorfälle.
a. Ein Leutnant wurde von Unteroffizieren als homosexuell enttarnt, kam vor ein Kriegsgericht und soll zum Soldaten degradiert und zur „Bewährung“ an die Ostfront geschickt worden sein.
b. Ein Obergefreiter (?) unternahm mit seiner gesamten Ausrüstung Fahnenflucht auf einem Fahrrad. Auf einem hinterlassenen Brief gestand er nicht näher beschriebene „Verfehlungen“ ein, die er an der Ostfront „sühnen“ wolle. Tatsächlich scheint er sich jedoch nach Dänemark abgesetzt zu haben, wo er Verwandte gehabt haben soll. Sein Verschwinden wurde relativ spät bemerkt, weil er wie eine Reihe von anderen Soldaten, meist Unteroffizieren, eine Gartenlaube auf einer angrenzenden Gartenparzelle gemietet hatte, in denen sich die so Begünstigten offiziell zeitweise aufhalten durften.
c. Nach Angriffen sammelten wir alle in das Batteriegelände gefallenen Blindgänger an Stabbrandbomben und Phosphorbomben. Die Sprengbomben waren alle explodiert. Eine Gruppe von etwa 6 Marinehelfern stand einmal um so einen Stapel herum und befingert die Blindgänger neugierig. Einer von ihnen warf schließlich eine Phosphorbombe vor sich auf den Boden, worauf sie zündete und ihren Inhalt auf die Dächer der umliegenden Baracken schleuderte, die natürlich sofort zu brennen begannen. Die Täter blieben sonderbarerwesie unversehrt.
Der Batteriechef rannte aus der Offiziersbaracke schnallte sich sein Pistolenkoppel um und schrie mit überschnappender Stimme: „Wer war das ?“ Der Übeltäter nannte verstört Namen und Dienstgrad und bekam darauf zu hören: „xxx, ich sperre Sie ein!“ Dazu kam es jedoch nicht, aber während die Brandwache die Dächer ablöschte, sah man die 6 Mann mit aufgepflanztem Seitengewehr und aufgesetzter Gasmaske im Kreis herumlaufen und - von mehreren Unteroffizieren überwacht - laut singen: „Die blauen Dragoner, sie reiten“ (damit ihnen die Luft wegblieb). Am ärgerlichsten war aber das wochenlange Badeverbot im Feuerlöschteich für alle. Auf den waren nämlich auch Phosphorteilchen herabgeregnet und sie konnten sich beim Herausklettern auf Kopf und Schultern der Schwimmer ablagern und in Verbindung mit dem Luftsauerstoff wieder zu brennen anfangen.
Die Besatzung des 1. Geschützes mit Maat Schaffranek.